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Hundeerziehung ist ein Marathon, kein Sprint

Autorenbild: DirkDirk

Aktualisiert: 3. Jan.

Eine übertriebene Erwartungshaltung im Hundetraining führt in der Regel zu Frustration auf beiden Seiten und kann die Bindung zwischen Mensch und Hund nachhaltig beeinträchtigen.


2 Hunde am Feld absitzen lassen? Kein Problem, im Wohnzimmer klappt's ja auch.

Ausgangssituation

Sowohl in Gruppenkursen als auch im Einzeltraining reden wir ganz häufig darüber, was der Hund schon alles kann oder besser, was er schon alles können soll. Gerade bei Welpen spüren wir als Trainer immer wieder eine große Verunsicherung, weil die Menschen glauben, dass ihr Hund schon längst viel weiter sein sollte, vor allem, was Leinenführigkeit und Rückruf angeht.


Die sozialen Medien machen das Leben hier oft auch nicht einfacher, wenn in WhatsApp-Gruppen oder in diversen Foren darüber berichtet wird, was der eigene Hund schon alles kann. Das erzeugt teilweise einen ungeheuren Erwartungsdruck bei den Menschen, diese angeblichen Erfolge auch so schnell wie möglich zu erreichen.


Ein paar abenteuerliche Beispiele

Im Folgenden ein paar Beispiele aus unserer täglichen Praxis:

  • Ein Welpe soll mit 4 Monaten schon perfekt an der Leine laufen

  • Der 7 Monate alte Hund soll schon perfekt abrufbar sein

  • Der Hund, der bisher keine 5 Minuten auf der Decke aushält, soll 4x die Woche für 8 Stunden mit ins Büro


Dies sind nur ein paar Beispiele. Entweder haben Kunden selbst diese Erwartungshaltung oder aber sie haben von Bekannten gehört, was deren Hund schon alles kann. Oder aber, sie haben einen anderen Hund auf der Straße gesehen und sind vom gezeigten Verhalten beeindruckt und wollen da auch so schnell wie möglich hin.


Aber kennen wir die genauen Umstände, wenn wir unsere Hunde mit anderen vergleichen? Wie lange trainiert das andere Team schon? Wie alt ist der andere Hund? Wie glaubwürdig sind die Schilderungen in Chats und Foren oder anders ausgedrückt ... werden da vielleicht Dinge schöngeredet?


Unser Tipp: Seid kritisch und unterlasst Vergleiche mit anderen Hunden, die höchstwahrscheinlich hinken.


Ein paar Zahlen aus der Praxis

An dieser Stelle kommt dann der Moment für uns als Trainer, um die Menschen wieder einzufangen und die Ambitionen mit der Realität abzugleichen und den Menschen beizubringen, dass Hundeerziehung ein Marathon ist und kein Sprint.


Für ein alltagstaugliches "Sitz" veranschlagen wir in der Regel ca. 3.000 Wiederholungen. Diese 3.000 Wiederholungen finden aber nicht nur zu Hause im Wohnzimmer auf dem Teppich statt, sondern über die Zeit an vielen verschiedenen Orten, mit vielen verschiedenen Ablenkungen und über eine länger werdende Zeit, die der Hund sitzen bleiben soll. Wenn wir also pro Tag mit unserem Hund 30x "Sitz" üben, bräuchten wir also nur für dieses eine Signal schon 100 Tage (also ca. 3 Monate), um es alltagstauglich zu machen.


Ich denke, wir sind uns einig, dass "Sitz" noch das einfachste Signal ist, dass wir unserem Hund beibringen wollen. Wenn wir über Leinenführigkeit und vor allem Rückruf reden, reden wir über eine viel höhere Komplexität und damit einen höheren Trainingsaufwand. Beim Rückruf kommen auch schon mal 9.000 Wiederholungen zusammen. Bei 30x Rückruf am Tag sprechen wir schon über 300 Tage (also ca. 10 Monate).


Und jetzt überlegt einmal, wie viele Signale unsere Hunde lernen sollen/müssen!


Eine Einordnung für Eltern

Stellt Euch vor, ich würde erwarten, dass Euer 9 Jahre altes Kind in 2 Jahren Abitur macht. Wie realistisch klingt das? Was würde das mit Eurem Kind machen und wie glücklich würde die weitere Kindheit verlaufen?


Die meisten Eltern würden mich für verrückt erklären und mir sagen, dass das Ziel total unrealistisch ist und dass sie nie zulassen würden, dass ihr Kind einem solchen Druck ausgesetzt würde.


Und damit haben die Eltern auch total recht. Ein solcher Anspruch würde weder den Eltern noch den Kindern gerecht werden. Und mal Hand aufs Herz ... Wie viele Kinder kennen wir, die mit 11 Jahren bereits Abitur gemacht haben? Die Zahl dürfte gegen 0 tendieren.


Eine Einordnung für Nicht-eltern

Wie realistisch wäre der Anspruch, eine Fremdsprache in 2 Monaten absolut fließend zu lernen, sodass man quasi als Muttersprachler durchgehen kann? Und übrigens ... Ihr bekommt nicht 2 Monate frei, damit ihr euch nur auf diese Aufgabe konzentrieren könnt. Euer Alltag geht ganz normal weiter und arbeiten gehen müsst ihr auch weiterhin.


Wer kann guten Gewissens sagen, dass er das schafft? Wie würdet ihr euch mit diesem Druck fühlen, vor allem auch damit, dass eure Umwelt erwartet, dass ihr das hinbekommt?


Auch hier wäre die richtige Antwort: "Dirk, das macht doch überhaupt keinen Sinn. Das ist nicht zu schaffen." Und wieder liegt ihr hiermit richtig.


Die Aufgabe des Trainers

Wenn die Anforderungen uns selbst betreffen, sind wir in der Regel deutlich realistischer als mit unseren Hunden. Und genau da kommen wir Trainer ins Spiel. Wir müssen oft die Erwartungshaltung der Menschen einfangen und auf ein realistisches Maß zurückschrauben, ihnen aber auch die Bestätigung geben, dass es total in Ordnung ist, sich Zeit zu lassen. Einen Marathon läuft man eben nicht mal so in 30 Minuten. Natürlich kann ich erste Trainingserfolge schon in ziemlich kurzer Zeit erreichen. Nur sind diese Erfolge in der Regel nicht alltagstauglich und funktionieren vielleicht nur an einem bestimmten Ort oder in einer bestimmten Situation. Aber bis zur Generalisierung (das Signal/Verhalten funktioniert immer und überall) wird es eben dauern. Dies zu vermitteln ist eine sehr wichtige Aufgabe im Umgang mit den Kunden.


Vor allem achten wir aber darauf, dass sich unsere Kunden nicht so sehr von außen unter Druck setzen lassen. Letztlich geht es um den Menschen und seinen Hund und nicht darum, die Erwartungshaltung des Umfeldes zu befriedigen.


Die Aufgabe des Menschen

Der Mensch sollte an seinen Hund die gleichen Maßstäbe anlegen, was Erwartungen angeht, die er für sich selbst anlegen würde bzw. von anderen erwarten würde. Dann wird das Training und die Erziehung in fairen Bahnen verlaufen und Mensch und Hund können vertrauensvoll zusammenarbeiten.

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